Am Karfreitag sind wir früh aufgestanden, um uns auf den Weg ins Centro Histórico zu machen. Hier findet nämlich am Viernes Santo (Karfreitag) eine der größten der vielen Osterprozessionen, die „Procesión Jesús del Gran Poder“ statt. Sie gilt als Höhepunkt der Semana Santa (Osterwoche) in Quito. Die Tradition stammt aus dem 16. Jahrhundert, wurde aber erst von den Franziskanern in Quito 1961 wiederbelebt und findet seitdem jedes Jahr statt. Wir standen direkt am Plaza Grande und hatten zu Glück super schönes Wetter.
An der Prozession nehmen mehrere tausend Menschen teil. Es gibt die Cucuruchus, welche in eine Art lila-farbene Kutte gehüllt sind, die nur zwei Löcher für die Augen frei lässt und nach oben mit einer sehr spitzen Kapuze abschließt (sieht etwas aus wie KKK). Dann gibt es die Verónicas, die in ebenfalls lila farbene Umhänge gehüllte Frauen. Bei dieser Prozession geht es den Teilnehmern um ihre Sünden und ihre Buße. Um sich für ihre Sünden zu bestrafen tragen einige Stacheldrahtzaun eng und fest um ihren Körper gebunden, einige peitschen sich selbst oder andere mit einem Strauch aus Brennnesseln, sodass blutende Wunden entstehen. Ein paar haben auch einen schweren Holzbalken auf ihren Schultern befestigt und versuchen, ohne unter seinem Gewicht zusammenzubrechen, mit gekrümmten Rücken den Balken zu tragen.
Die Menschen, die diese Prozession jedoch so eindrucksvoll machen, sind die, die sich als Jesus verkleiden und auf dem kompletten Weg ein großes schweres Keuz aus Holz auf ihrem Rücken tragen. Diese Männer möchten so den Leidensweg Jesus nachempfinden und ihm dadurch näher kommen. Dieses Jahr waren auch zwei Frauen (davon ein relativ junges Mädchen) dabei. Auch einige Jungen zwischen circa 8 und 15 Jahren sind mit gelaufen und hatten ein Kreuz auf ihrem Rücken.
Es war gleichzeitig beeindruckend aber auch sehr bedrückend, diese Männer ihre schweren Kreuze tragen zu sehen. Wir standen relativ am Anfang des Weges und schon bei uns konnte man die Anstrengung und die Schmerzen der Männer erkennen. Dabei hatten sie noch nicht mal ein Fünftel des Weges geschafft. Einige sind vor unserer Nase unter ihrem Kreuz zusammengebrochen und konnten nur durch die Hilfe ihrer Freunde und Angehörigen, die ebenfalls in den lila Umhängen gekleidet waren, wieder aufstehen, um sich erneut das Kreuz auf die Schulter zu legen. Einige wenige hatten sich so schwere Kreuze gebaut, dass sie beim Laufen nicht einmal richtig die Richtung kontrollieren konnten und von rechts nach links geschwankt sind. Manchmal sind die Kreuze auch zur Seite gefallen, wobei das wirklich hätte schief gehen können, da die „Zuschauer“ ohne Absperrung sehr nah neben den Prozession-Teilnehmern standen. Um es sich noch schwerer zu machen haben sich viele Kreuzträger aber auch die anderen Teilnehmer Ketten oder schwere Kugeln um die Füße oder stechende Dornenkränze um den Kopf gebunden.
Ich habe mich gleichzeitig sehr beeindruckt, aber auch sehr nutzlos gefühlt. Ich hätte den Männern am Boden liegend neben ihrem Kreuz gerne geholfen, aber ich wusste, dass das nicht geht beziehungsweise, dass sie das gar nicht wollen… Deswegen war ich während und auch nach der Prozession sehr nachdenklich und eher bedrückt.
Zwischen den Kreuzträgern und Prozession-Teilnehmern gab es immer wieder Blaskapellen, die religiöse Lieder gespielt haben und von Männern getragene Statuen, die Jesus oder Maria darstellen.
Ich kann jedoch nicht 100 prozentig verstehen, wie sich diese Menschen so etwas antun können. Vielleicht bin ich dazu zu wenig religiös, jedoch finde ich es sehr hart, so zu leiden und sich so Schmerzen zu zufügen, nur um sich Jesus näher zu fühlen oder um seine Sünden vergeben zu bekommen.
Nichts desto trotz war es eine unglaubliche Erfahrung, diese Prozession einmal miterlebt zu haben und ich fand es sehr interessant zu sehen, wie weit Menschen für ihren Glauben gehen.
Einige Eindrücke der Prozession seht ihr hier: